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Elisabeth Klotz-Pauer: Vortrag am 25.10.2022 in Klausen 

 

Arthur von Wallpach. Dichtung im Spiegel bewegter Zeiten

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1 Arthur von Wallpach und Klausen:

Ein kunstsinniger Adelsspross

Als Muttererbe durch die Adern rinnt

mir Blut der Rhäterahnen, still und säumend;

der blonde Vater, jäh und überschäumend

die dunkle Mutter spröd, verschlossen, träumend,

sie streiten, wer mein Wesen ganz gewinnt.

Ists darum, daß ich soviel Sehnsucht trage?

Mein halbes Leben lebt in Lied und Sage,

bestrickt vom Zauber längstversunkner Tage,

nach Kampf und Wirklichkeit mein andres sinnt. (T.B., S. 20 f.)

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Im Gedicht „Tiroler Blut“, das auch als „Ahnenerbe“ überliefert ist, benennt Arthur von Wallpach den Widerstreit zwischen einem Dasein, das dem Künstlertum gewidmet ist und der Notwendigkeit, einem bürgerlichen Beruf, jenem des Samenhändlers, nachzugehen.  Das Wort „Kampf“ könnte auch auf sein politisches Engagement hinweisen. 

Geboren  wurde Arthur von Wallpach, dem heute unsere Aufmerksamkeit gewidmet ist,  am 6. März 1866 in Untervintl  als Sohn des Anton Ritter von Wallpach (geb. in Telfs am 6. Mai 1834) und der Maria geb. Falger.  Die Schwester  Marianna stirbt bereits mit vier Jahren. In Vintl ist der Vater als Holzhändler tätig, doch in den 1880er Jahren  übersiedelt die Familie nach Innsbruck, wo der Vater den  Beruf des Samenhändlers ergreift. Wohn- und Geschäftssitz befinden sich am Innrain.

Der Ursprung der Familie von Wallpach lässt sich urkundlich bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen und liegt im Sundgau (Elsass), doch bereits im Jahr 1363 tritt der Name „Walpach“ erstmals in Hall in Tirol auf.  Hanns Walpach (1531 – 1619) erhält von Erzherzog Ferdinand 1577 einen Wappenbrief (Schwan), weshalb sich die Familie „von Wallpach zu Schwanenfeld“ nennt. 1692 wurde Christoff IV. zusammen mit seinem Bruder Mathias in den erblichen  Adelsstand erhoben.  Anlass war die erfolgreiche Bekämpfung einer Hungersnot in Tirol. In der Burg Anger befindet sich im Treppenaufgang von der Eingangshalle in die Gemächer eine Spruchtafel mit Bezug auf dieses Ereignis: 

„Vor Theurung geschützt und damit man könnte leben/Hat er das Land mit Brod versehn und wohlfeil geben../„Dadurch Brodvater genant kont werden/ Gott erhalt seinen Nam im Himel und auf Erden“ 1692 

Ein aktueller Bezug: Die  Tiroler Landstände schenkten dem als „Brotvater“ in die Geschichte Eingegangenen einen silbernen Pokal nebst Medaille. Beide Gegenstände sind im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum ausgestellt, und der Pokal dient heute noch als Wahlurne für die Landeshauptmannswahl. 

Anlässlich des 200jährigen Adels-Jubiläums hat Otto Maximilian v. Wallpach (geb. 1842) im Jahr 1892 eine Familienchronik erstellt. Er war Kanonikus am Kollegiatsstift in Mattsee und Priester seit 1866. Über mehrere Generationen bekleidete die Familie leitende Posten des Salzbergwerks von Hall, einer wichtigen Einnahmequelle. Eine Gasse in der Salzstadt erinnert bis heute an das Geschlecht der von Wallpach. Im Laufe der Jahrhunderte stellten die Wallpach auch eine Reihe von Geistlichen (11, davon 6 Weltpriester, 5 Ordensgeistliche) und Nonnen (6, davon 3 Haller Stiftsdamen), wie in der Familienchronik festgehalten wird.

Im Gedicht „Mein Geschlecht“ nimmt Arthur von Wallpach Bezug auf seine Abstammung: Er nennt die „Rathsbürger, die stolz auf Wappen, Zünfterecht und Ehrenketten“ waren und erwähnt neben den Trägern von Degen auch die Träger eines Talars: „Jesuiten, Mönche, Nonnen, Stiftsfräulein eine lange Schaar.“(Sst. S. 126)

Er selber  besucht zunächst die Volksschule im Innsbrucker Stadtteil St. Nikolaus, dann Gymnasium und Handelsakademie. Offensichtlich war der Knabe für die Nachfolge im väterlichen Geschäft vorgesehen, und bereits als 24-Jähriger übernimmt er dieses und scheint ab 1892 (mit 26) als Besitzer auf. Seit 1884 unternahm der junge Mann ausgedehnte Touren zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Mit Bleistiftzeichnungen hielt er landschaftliche Motive fest. Auch die ersten datierten Gedichte gehen auf das Jahr 1882 (Nachlasssammlung, Mappe, „Im Sommersturm“) zurück und  lassen die musische Neigung erkennen.

Eine der Fahrten oder Wanderungen dürfte Arthur von Wallpach auch nach Klausen geführt haben, und hier muss ihm die damals vernachlässigte Burg Anger aufgefallen sein. Bei einer  Verlassenschafts-Versteigerung hat er 1894 das Anwesen erworben (Eintragung im Hausbuch auf Anger: „Den 4. Aprilis 1894 haben wir Anger gebrieft“ Arthur v. Wallpach – Anton v. Wallpach). In einem Artikel in den Innsbrucker Nachrichten aus dem Jahr 1897 wird die „glückliche Hand“ des Bauherrn bei der vollständigen Wiederherstellung der Burg erwähnt.

Ebenfalls für das Hausbuch hat A.v. Wallpach eine Schloßchronik mit den wichtigsten historischen Daten ab 1348 verfasst. Er schließt diese Chronik mit den Versen: „Arthur v. Wallpach kaufts wieder zusammen/Bringt zue Ehren den alten Namen/Von Anger und hats mit grossem Fleiss/Aufferbaut in gerechter Art und Weiss 1894“. In der Folgezeit wird Schloß Anger zu einem Ort der Begegnung mit befreundeten Künstlern und zu einem Zentrum der literarischen Kreise der damaligen Zeit. Im Stammbuch des Schlosses finden sich Eintragungen von Künstler und Literaten wie Ottomar Zeiller aus Hall, Albin Egger-Lienz, Karl Habermann und Anton Renk, aber auch von Vertretern des öffentlichen Lebens wie Dr. Luchner (RA) und Dr. Gruener, den späteren Landeshauptmann-Stellvertreter von Tirol.

2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund: Radikaler Rebell

Um die Jahrhundertwende stellten im Frühsommer Bauern auf dem Gufidauner Bichl, einem guten Aussichtspunkt, Tafeln mit folgendem Verbot auf:

„Karrnern, Zigeunern und den von Anger ist das Feuermachen verboten“ (nach einem mündlichen Bericht von Frau Hanna v. Wallpach, Schwiegertochter des Dichters).

Was hatte das zu bedeuten? Unter der bäuerlichen Bevölkerung um Klausen war Schloss Anger als „Ketzerburg“bekannt, da neben A.v. Wallpach schon frühere Besitzer (die Mayrhofer von Coburg und Anger) protestantisch waren. Auch war das „Feuermachen“ inzwischen ideologisch aufgeheizt! 

Kleiner biographischer Exkurs:  Zum Innsbrucker Bekanntenkreis A.v.W.s zählte in den 1890er-Jahren auch das Ehepaar Clothilde und Alfons Siber aus Hall, letzterer ein bekannter Tiroler Kunstmaler. Es kommt zu einer Annäherung zwischen A.v.W. und der Frau des Haller Künstlers, Clothilde, deren Ehe in der Folge geschieden wird. Im Herbst 1900 heiratet A.v.W. in der deutschen evangelischen Pfarre zu Pest in Ungarn Thilda Siber geb. Seidl. Im selben Jahr war A.v.W.  aus der katholischen Kirche ausgetreten und wurde in die evangelische Kirche aufgenommen. Das katholische Kirchenrecht hätte die Heirat zwischen Arthur v. Wallpach und der geschiedenen Thilda nicht zugelassen. Der Kampf um die geliebte Frau findet im Gedichtband „Kreienfeuer und Herdflammen“, der 1902 erscheint, seinen Niederschlag.

Nun aber zurück von den Herzfeuern zu den  Sonnwendfeuern! 

Die Sonnwendfeuer, die Wallpach und seine Freunde entfachten, hatten alles andere als mit den in Tirol üblichen Herz-Jesu-Feuern zu tun. Inzwischen hatte nämlich die von Georg Ritter von Schönerer (1842 - 1921) in Wien ausgehende „Los-von-Rom-Bewegung“ längst auch Tirol erreicht. Arthur von Wallpach und sein Kreis „Jung Tirol“ (dazu zählten Adolf Heinrich Povinelli, Franz Lechleitner, Rudolf Greinz, Heinrich v. Schullern, Franz Kranewitter, Karl Schönherr, Anton Renk) waren feurige Verfechter dieser antiklerikalen Bewegung, die scharfe Kritik an der katholischen Kirche und am Konkordat von 1855 (Kritik: zu starke Einflussnahme der Kirche auf die Schul- und Ehegesetzgebung)  übte und einer liberalen und neuheidnischen Ideologie huldigten. 1899 gaben sie den Musenalmanach „Jung-Tirol“ heraus. Sonnwend- und Julfeste wurden in germanischem Stil gefeiert. Beispiel dazu das Gedicht:  Zwei Feste

Mit Pöllerlärm und Glockenschall,/Mit Weihrauchduft und Pulverschwall,/Mit Kranzelmädeln, Veteranen/Mit Blechmusik und Kirchenfahnen/Begeht das Fest des Sommers Rom./ 

Wir aber haben durch die Nacht/Die Sonnwendfeuer still entfacht,/Und unsrer Flammenstöße Lohen/Schlägt voller Majestät zum hohen/Sternübersäten Weltendom. (Im Sommersturm, S. 30)

Oder: 

Nordland, heilige Völkerwiege,/Mutter aller Menschheitssiege/Uns, die noch von deinem Blut,/Lass bei Sonnenfeuer schwören/Deinem Lichtdienst zu gehören/Denn was arisch ist, ist gut (Sonnenlieder, S. 37)

So gab es anlässlich der Sonnwendfeier, die am 21. Juni 1899 in Innsbruck stattfand, auch eine Versammlung, in der zum Abfall von der katholischen Kirche aufgerufen werden sollte. Um diese „Schönerer“- bzw. „Los-von-Rom-Bewegung“  abzuwehren, hatte Fürstbischof Simon von Brixen das Abhalten von Sonnwendfesten strengstens untersagt (Innsbruck gehörte damals noch zur Diözese Brixen). Er forderte die Gläubigen auf, sich zur Verteidigung des Glaubens zu einigen.

Im Gegensatz zu den bereits erwähnten „Jung-Tirolern“ gab es eine Gruppe konservativ-religiöser Dichter, die „Alttiroler“, deren Motto „Für Gott, Kaiser und Vaterland“ lautete. Mitglieder waren Karl Domanig, Ferdinand von Scala, Thomas Stock, Josef Seeber, Bruder Willram. Sie hatten sich 1896 zu einem Festgruß zur Säkularfeier des Bundes Tirol mit dem göttlichen Herzen Jesu versammelt.

Wir kennen wohl alle das Herz-Jesu-Bundeslied „Auf zum Schwur, Tiroler Land“ aus dem Jahr 1896. Die Textzeilen „Fest und stark zu unserm Gott/halten wir trotz Hohn und Spott“ und „Spotten uns die Feinde auch,/ Treue ist Tiroler Brauch“ beziehen sich auf den Konflikt zwischen den konservativen und national-liberalen Kräften.

Politische, soziale und religiöse Gründe hatten in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts in der Donau- Monarchie das Erstarken der Alldeutschen Bewegung unter Georg Ritter von Schönerer  bewirkt:  Ein Thema dieser Bewegung war der Nationalitätenkampf in der Donaumonarchie. Beispiel: die Sprachverordnung im Reichsrat (1897) unter dem Ministerpräsidenten Graf Badeni. Dabei ging es um das Zugeständnis an die Tschechen, dass alle Beamten in Böhmen und Mähren zweisprachig sein müssten. Dagegen zogen Schönerer und seine Gefolgsleute  erfolgreich zu Felde. Nachdem anders als im Deutschen Reich in der Donaumonarchie die deutschsprachigen Österreicher eine Minderheit waren, fühlten sich diese durch den wachsenden Nationalismus der Slawen bedroht. Die Alldeutschen arbeiteten auf eine Zerschlagung der Monarchie hin. Auch war das Haus Habsburg eine der römisch-katholischen Kirche treu ergebene Dynastie, ein weiterer Grund für die Ablehnung. Der Antiklerikalismus  hatte insbesondere eine  ablehnende Haltung gegenüber dem Konkordat aus dem Jahr 1855 zur Folge. Der Antiparlamentarismus und  der Antisemitismus waren weitere Schwerpunkte von Schönerers  Propaganda gewesen.  Arthur von Wallpach  griff in vielen Gedichten der ersten Schaffensphase antiklerikale und antisemitische Inhalte auf, ein Beispiel, das GedichtOffenbarung aus der „Sturmglock“, S. 59:

„… Wo in die Ewigkeit die Zinken weisen,/Bis wo im blauen Fjord der Schnee sich spiegelt/… Da lebt ein Volk, der Treue Ebenbild,/Mit Blondhaar, blauen Augen, kräftigem Mut,/In Reckenleibern Kindersinn bewahrend./….

Doch drunten, wo am roten Meer das Salz/Auf toten, schwarzgebrannten Ufern krustet,/Wo schmutziges Steingemäuer wirr und wüst/In baumlos dürr gesengter Steppe trauert,/Erwuchs ein Volk, von Gott zum Sohn erwählt,/Tückisch und lüstern, feig, mordlustig, geizig,/Der andern Völker Aussatz, Spott und Abscheu,/Mit wulstigen Lippen, affenartigen Gliedern. …“

Neben diesen Eigenschaften werden die Juden auch wegen „gierer Goldsucht“, „Krämergeist und Knechtssinn“ und „nimmersatter List“ als Feinde des Volkes erachtet. Aus diesem Denken erklärt sich die ablehnende Haltung gegenüber der katholischen Kirche, der man die Weiterführung des jüdischen Geistes vorwarf.

Eine kritische Alternative zur katholischen Kirche wird  von den Alldeutschen und von A.v. W. in dem von Martin Luther (1483 – 1546) erneuerten Glauben gesucht, ebenso ist Ulrich von Hutten, deutscher Renaissance-Humanist, Dichter, Kirchenkritiker (1488 – 1523) ein Vorbild: Gedichtbeispiel:

Das „römische Fieber“ zehrt und lähmt,/Noch heute unsere beste Kraft,/ Und ob uns Pabst und Thron verfehmt,/ Wir folgen Huttens Führerschaft (St. S. 68). Anmerkung: Einige Bände aus dem Besitz Arthur von Wallpachs tragen den Stempel des Innsbrucker „Ulrich-Hutten-Bundes“.

In der Bewunderung für Luther bemüht Arthur von Wallpach sogar eine Sage, der zufolge der Reformator auf seiner Rückkehr nach Deutschland auf Schloss Anger genächtigt haben soll:

„Es geht im Volk ein scheues Wort/Daß einst am Wanderstabe/Durchs Land verstohlen Luther zog/Und hier genächtigt habe.“ (Sl. S. 97)

Im Gedicht „Huttens Erbe“ nennt Wallpach sowohl Luther als auch Hutten als Vorbilder: „Wie Felsentürme trotzt ihr aufgerichtet,/Luther, der Mönch, ein düsterer Koloß,/ Du, Hutten, unserer Tage Kampfgenoß,/In euch hat deutsche Mannheit sich verdichtet!“ (Sturmglock, S. 32)

Bild Burg Anger mit dem Hinweis, dass Luther, Karlstadt und Gaissmair hier genächtigt haben. Karlstadt (Andreas Rudolf Bodenstein) 1486 – 1541, dt. Theologe und Reformator

Doch der Dritte im Bunde der „geistigen Väter“ Arthur von Wallpachs ist der Dominikanermönch Giordano Bruno(geb. 1548 in Nola bei Neapel und am 17.03.1600 öffentlich als Ketzer verbrannt). Er hatte die christlichen Dogmen angezweifelt und  die Welt als unerschaffene unendlich-ewige Totalität verstanden. In den 1890-er Jahren dürfte in den Innsbrucker Kreisen, in denen auch Wallpach verkehrte, viel von Giordano Bruno die Rede gewesen sein. Dessen Pantheismus („Gott ist in allem“) findet Eingang in viele seiner Gedichte. Ein Ausspruch Giordano Brunos,

 „Unendlichkeit, in deinem Wesen west auch das meine!“ (Sonnenlieder) wird von Wallpach sogar als Gedichtstitel gewählt.

Bei Giordano Bruno findet A.v.Wallpach „seine“ Religion: Er wird zum Pantheisten, zum Bekenner einer Göttlichkeit, die in allem erscheint.  Auch der von Max Stirner  (Pseudonym für Johann Caspar Schmidt, deutscher Philosoph, 1806 – 1856) vertretene Solipsismus (Werk „Der Einzige und sein Eigentum“)  mit seinem Motto: „Mir geht nichts über mich“ findet in Wallpach einen glühenden Vertreter. Im Gedicht „Mein Geschlecht“ formuliert er: „Ein jeder lebt sein eignes Leben/Und schafft sich selber Glück und Pein/So ward mein einziges Ziel und Streben/Ein schrankenloses Ich zu sein.“ (Sst., S. 126)

In den Jahren zwischen 1899 bis 1905 findet A.v.Wallpachs Geisteshaltung auch in der in Innsbruck 1899 gegründeten Zeitschrift „Der Scherer“ ihren Niederschlag. Er veröffentlicht darin sowohl Gedichte (143) als auch Artikel (44). Der Name der Zeitschrift war der des Ratten- und Maulwurfsfängers, den man in Tirol „Scherer“ nannte.  Wie dieser sollte das Blatt alle dunklen Schädlinge des Volkstums fangen: „Der Schermaus gleicht der Volksbedränger/In römisch schwarzer Tracht,/Und ‚Scherer‘ heißt der Maulwurfsfänger,/Der ihm den Garaus macht.“ – So lautete das Motto der Zeitschrift.

Ab dem 4. Jahrgang wurde der Scherer, das „Erste illustrierte Tiroler Witzblatt für Politik, Kunst und Leben“,  auf „Alldeutsches Wochenblatt“ umbenannt.  Arthur von Wallpach schrieb im „Scherer“ hauptsächlich unter dem Pseudonym „Einhart“, aber auch unter anderen Chiffren. In seinen Artikeln verbreitet er deutschnationales Gedankengut. Weitere Inhalte sind ketzerische Appelle an den „heroischen deutschen Edelmut“, sich dem zersetzenden Einfluss des Sozialismus, Klerikalismus und des Judentums entgegenzustellen. Viele Gedichte und Beiträte  konnten  im „Scherer“ nicht erscheinen, weil sie behördlich beschlagnahmt wurden. Das betraf Beiträge, welche die Monarchie, das Kaiserhaus oder die katholische Kirche  bzw. den jüdischen  Glauben  herabsetzten.  Probleme mit der Staatsanwaltschaft und hohe Kosten, die dem Blatt aus fortgesetzten Beschlagnahmungen erwuchsen, haben schließlich zu dessen Einstellung  geführt.

3 Verständnis  von „Heimat“: Lebenslange Leidenschaft

3.1.  „Germanische“ Heimat: Hugin und Munin im Schlosshof 

(Paul Rossi, ein Freund, schildert seine Ankunft in Anger. Nach dem Ziehen der Schelle erscheint der Hausherr im Schlosshof, gemeinsam mit den Raben H. und M., nach den Boten Odhins genannt, und mit Frigga, der Angorakatze. Odhin ist der germ. Göttervater, Frigga oder Freya, die Göttermutter). 

In den  Gedichten, die in die frühe Schaffenszeit Arthur v. Wallpachs fallen („Im Sommersturm“ 1893, „Sonnenlieder im Jahresringe. Heidnische Gesänge aus Tirol“, 1900, „Sturmglock‘. Politische und sociale Gedichte“, 1902)) fußt das Heimatbewusstsein des Dichters hauptsächlich auf der Grundlage germanischer Blutsgemeinschaft: „… Doch  nimmer kann das letzte Band mich trennen,/Das mich mit Gleichgearteten umfängt./ Germane will ich mich mit jenen nennen,/Zu denen mich des Blutes Stimme drängt. (Gedicht „Rasse“ in Sst. S. 170).  Ganz im Geiste Schönerers werden auch von ihm Juden und Slawen nicht mehr als gleichwertige Bürger anerkannt. Durch das alldeutsche Gedankengut war A.v. Wallpach zu einem Heimatbegriff gelangt, der auf territorialer Expansion und rassischer Überlegenheit beruhte. Dabei  sollten sich die Gebietsansprüche nicht nur auf den Ostraum beschränken. Im Gedicht „Fatherland“ (Spottname der Briten für Dtl.) wird die germanische Heimat folgendermaßen umschrieben: 

„Wir sind von altem Reckenblut,/Die wir aus Nordland stammen,/Und trennt uns Zwang und Meeresflut,/ Uns hält   e i n   G e i s t   zusammen./Wohlan, ein Gott, ein Volk, ein Reich,/Vom Capland bis zum Friesendeich,/Von Argentiniens Weizenflur/Bis in die Wolganied’rung nur!/ Denn, ob uns Fremdlingshaß entzweit:/ In Taten wie Gedanken/Eint uns in hehrer Herrlichkeit/Ein Deutschland ohne Schranken!“  Und am Ende der letzten Strophe heißt es: „Ob Nord, ob Süd, wir sind    e i n Blut,/Auf, deutsches Volk, treib‘ aus den Bergen/Hinaus des Fremdtums schlimme Schergen,/Zertritt die welsche Natternbrut!“ (Sturmglock‘, 1902 erschienen,. S. 35)

3.2. Heimat als unmittelbarer Lebensraum: „Kein Thal, so reich und mild…“

Mit dem Abflauen der Alldeutschen Bewegung rückt die Tiroler Heimat dem Dichter als Motivgeberin näher.  Arthur von Wallpach unternimmt zahlreiche Wanderungen. Eindrücke, die er dabei gewinnt, gibt er in vielen Gedichten wieder. Auch Klausen und seine Umgebung bilden den Inhalt zahlreicher naturhafter Gedichte. Ein Beispiel: „Urväterstädtchen, ritterlich bewehrt,/ Darüber Burg und Fels in kühnen Linien,/Von Kunst und Dichtung wardst du hold verklärt,/Schwellend im Sonnenglücke der Glyzinien.“ (Ob, S. 82). Das häusliche Glück, das A.v.W. durch die Heirat mit Thilda gefunden hatte, spiegelt sich in verschiedenen Gedichten wider. Ein Beispiel („Mannesglück“) aus dem Jahr 1900: „Ich weiß kein Thal, so reich und mild“….Nie sah im Traum ich hold’re Frau,/Als ich sie in mein Eh’bett trug -/Mein Weib, mein Haus, Anger und Au,/Das ist mein Glück – Glückes genug.“ Das Verständnis von „Heimat“ wird in vielen Gedichten auch um Sagen- und Legendenstoffe erweitert. A.v.W. weiß sich dem rätischen Erbe des Landes verbunden. Doch auch auf die von der Irredenta-Bewegung erhobene Forderung nach einer Teilung Tirols geht Arthur von Wallpach in Gedichten ein. Ein Beispiel: „Erwach, erwache Vaterland,/vernimm den treuen Warnerschrei!/Der Alpenhang, der Südlandstrand,/er bleibe deutsch, er bleibe frei!“ (T.B., 1908, S. 61).

 

3.3. Bedrohte Heimat und Erster Weltkrieg: Der welsche Verräter

Während die Expressionisten und andere Zeitgenossen in dumpfen Ahnungen  die Gefahr  eines Krieges herauf dräuen sahen,  hat Arthur von Wallpach, „den Krieg, namentlich den gegen den beutegierigen, tilckischen welschen Erbfeind schon in Friedenszeiten mit ganzem Herzen herbeigesehnt“ schreibt ein Rezensent  seines Gedichtbandes „Wir brechen durch den Tod“. Gedichte aus dem Felde (1916 erschienen). Bereits im Gedichtband „Heiliges Land“ (Gedichte zwischen 1909 und 1911 entstanden, 1914 erschienen) findet sich ein Gedicht mit dem Titel „Gebet um den Krieg“, das auf den 30.10.1911 datiert ist: „Wie Schafe in der Hürde/So sind wir feig und träg./O nimm von uns die Bürde/Des übeln Friedens weg!/ …Weiber und Priester ächzen/Um Frieden bang und zag -/Walvater, sieh, wir lechzen/Nach Malmers Wetterschlag.“ Auch in den folgenden Versen sieht A.v. Wallpach das Heil in der Männerschlacht: „O kommt, ihr harten Tage, bittres Darben,/Willkommen, Notzeit, die zu Helden macht,/Daß noch einmal Tyrol die Flammengarben/Der Edelfreiheit schleudre in die Nacht.“ (H.L., S. 99)

Nach der Kriegserklärung Italiens an Österreich-Ungarn im Mai 1915 wurde Arthur von Wallpach als Kaiserjägerleutnant in der Reserve zum Hauptmann der 3. Kompanie des k.k. Standschützenbattaillons Innsbruck I ernannt und  hatte die Akademische Legion als 3. und 4. Zug unter seinem Befehle. Er kommt in das Gebiet von Sexten auf den Toblinger Knoten und ist bei seinen Kameraden beliebt. In einem Gedicht vom 24.10.1916 schildert er das gemeinsame Ziel der „Akademischen Legion“: „Wir alle sind aus gleichem Blut geboren/Wir streiten für der Heimat freies Recht/Dozenten, Professoren und Doktoren/In einem Gliede mit dem Ackerknecht.“  

Foto, A.v. W. als Kaiserjäger

Zur Akademischen Legion, die Wallpach bis 1917 anführte, gehörten u.a.  Graf Foppa, Dr. Franz Egert, Hans Markart und Dr. Richard Amberger. Während des 1. Weltkrieges hat A.v. Wallpach auch seine ursprünglich habsburgfeindliche Haltung aufgegeben. Die Habsburger hatten ein übernationales Reich und waren der römisch-katholischen Kirche verbunden.  Im Gedicht „Kaisertag“ kommt nun die „versöhnte Haltung“ deutlich zum Ausdruck: „Der Kaiser, das ist ein Stück Religion,/Ihr Vorbild in Ehre und Pflicht,/Der Großvater schwor ihm, Vater und Sohn,/Für ihn der Urenkel ficht./…Dass er noch erlebte, phönixgleich,/In der Glorie des Auferstehens,/Das alte, gewaltige Österreich/Radetzky’s und Prinz Eugen’s.“ (W.br., S. 39)

Der Erste  Weltkrieg bewirkt  einen weiteren Wandel im Denken Arthur von Wallpachs: „Wir fröhnten dem fremden Wesen/Und hatten für’s eigne Spott - /O Segen, daß wir genesen/Zu Heimat, Volk und Gott.“ (W.br., S. 54). Im Kampf um die Verteidigung der Heimat wird für den Dichter nun auch der christliche Gott  bedeutend, den er hauptsächlich um Hilfe gegen die Feinde anruft: „In höchster Not hast schnöd du uns verraten, (gemeint ist Italien, das durch den Kriegseintritt 1915 zum Feind geworden war)/Drum beten wir, Gott möge dich zerschmettern!/Sauset Lawinen, von den Grenzberggraten/Und fegt sie frei von den verruchten ‚Rettern‘.“ (W.br., S. 52)

1917 wurde W. wegen einer Typhuserkrankung von der Front beurlaubt und nach seiner Genesung in Klausen als Anbauoffizier eingesetzt. Nach dem 1. Weltkrieg hat Arthur v. Wallpach in Klausen  eine Filiale seines Geschäftes namens „Silvaterra“ gegründet. Der Ausgang des 1. WK und vor allem der Verlust Südtirols an Italien trafen den Dichter schwer: „Der Schatz ist zur Grube gefahren,/ Geheißen deutsche Ehr,/Er blühet in hundert Jahren/Nur einmal und nimmermehr.“ (Gedicht aus dem Jahr 1919). 

Nach 1919 hielt er sich häufig in Ranalt im Stubaital auf, wo er im Jahr 1921 eine Almhütte erwerben sollte. Die Natur und die Bergeinsamkeit, in die er sich zurückzieht, werden ihm jetzt zur Heimat. Diese wird zum Inbegriff des Verlornen:  „…Köstliches Land der Föhren und der Reben,/In Lorbeerhainen gründen eisige Höhn,/Dein Himmel kann der Sehnsucht Fülle geben/Und selbst in Tränen bleibst du fehllos schön.“ (Ob, S. 75)

Die  Zeit der Option eröffnete die Wahlmöglichkeit, ins Deutsche Reich auszuwandern und an den Traum einer deutschen Heimat anzuknüpfen. Die Gedichte dieser Zeit spiegeln Gefühle des Abschiednehmens, der Ungewissheit und der Treue wieder:

„Für dich, o Deutschland, wollen Hof und Haus/Und unsere Sonnensiedlung wir verlassen,/Die Almenberge und die Weinterrassen,/Wir tauschen sie um rauhen Nordwinds Braus./…Du aber schenkst uns Freiheit und Bestand/Und statt der Heimat, die wir hingegeben,/Heimkehr ins grosse deutsche Vaterland.“ (Gedicht „Heimkehr“ in G.L.).

Der Ausbruch des 2. Weltkrieges hat verhindert, was durch das Options-Abkommen zwischen Hitler und Mussolini vereinbart worden war. Auch hat dieser Krieg den Traum Arthur von Wallpachs von einem Großdeutschen Reich zunichte gemacht. Im Gedicht „An den Führer“ aus dem Jahr 1940 hatte er noch formuliert: “Tat ist Dein Wesen! Was Geschlechter träumten/Dem hoffend sich die Edelsten geweiht,/Und was vordem Jahrhunderte versäumten,/In Deinen Händen ward es Wirklichkeit.“ (In: G.L.)

4   Überblick über das literarische Werk

4.1. Literarische Kreise und  Werte im Wandel: Der „Föhn“ ist nicht nur ein Wind, „der Brenner“ nicht nur ein Passübergang und der „Schlern“ nicht nur ein Berg

Arthur v. Wallpach war im Laufe seines Lebens Mitglied  verschiedener literarischer Kreise. In der frühen Schaffenszeit war dies sein Mitwirken beim „Scherer“ (1899 – 1905) gewesen. Davon war schon die Rede.

Im Juni 1909, anlässlich der Jahrhundertfeier des Freiheitskampfes von 1809, trat in Innsbruck mit dem „Föhn“ eine bedeutendere literarische Zeitschrift auf den Plan. Zu den wichtigsten Mitarbeitern gehörten Karl Schönherr, Heinrich v. Schullern, Hans v. Hoffensthal, Ludwig und Angelika von Hörmann, Ludwig von Ficker, Rudolf Greinz, Carl Dallago, Bruder Willram (Pseudonym für Anton Müller).  Arthur von Wallpach war im „Föhn“ mit 11 Gedichten vertreten. Inzwischen war 1905 (in Verbindung mit Anton Renk, Karl Dallago u.a.) der Gedichtband „Bergbrevier. Berglieder aus Tirol“ erschienen. Auch im Gedichtband „Tiroler Blut“ (1908) ist der ursprüngliche Kampfton zugunsten einer naturhaften Frömmigkeit, Naturliebe und Selbstbesinnung zurückgetreten. Arthur von Wallpach zählte zu dieser Zeit zu den angesehensten Lyrikern Tirols. Durch eine persönliche Kontroverse zwischen dem Herausgeber des „Föhn“ und Ludwig von Ficker waren der Zeitschrift allerdings nur zwei Jahrgänge beschieden, und sie wurde 1911 wieder eingestellt.

 

 

Ein sinkender und ein aufgehender Stern

Im Juni 1910 erschien in Innsbruck eine neue literarische Zeitschrift: „Der Brenner, eine Halbmonatsschrift für Kunst und Kultur“. Herausgeber war Ludwig von Ficker (1880 – 1967), der  auch Arthur von Wallpach zur Mitarbeit einlud. Im Innsbrucker Café Max trafen sich die Mitarbeiter des „Brenner“ am sogenannten „Brenner-Tisch“. Wallpach  war von 1910 bis 1914 mit insgesamt  21 Gedichten im „Brenner“ vertreten. In den ersten  zwei Jahrgängen 1910/11 und  1911/12 wurden 19 Gedichte veröffentlicht, in den zwei Jahrgängen zwischen 1912 und 1914 hingegen erschienen nur noch zwei Gedichte. Was war der Grund für das Ausscheiden Arthur von Wallpachs gewesen?

Am historisch gewordenen „Brenner-Tisch“ war Ludwig von Ficker (1880 – 1967) am 22. Mai 1912 erstmals Georg Trakl (1887 -1914) begegnet. Am 1. Mai 1912 erschien mit „Vorstadt im Föhn“ das erste Gedicht Georg Trakls im „Brenner“. Der Herausgeber, Ludwig von Ficker, suchte  mit der Ausrichtung seiner Zeitschrift  eine Antwort auf die brennenden Fragen der Zeit. In der Dichterpersönlichkeit Georg Trakls hat er eine neue Kraft im Hinblick auf den schwelenden Zeitgeist erkannt. Während Wallpachs Wünschen und Drängen einem Krieg  entgegenstrebte, ahnte Trakl den Niedergang des Jahrhunderts. 

Zwischen den beiden so unterschiedlichen Dichterpersönlichkeiten hat es aber eine persönliche Bekanntschaft gegeben. Davon zeugt ein vierstrophiges Gedicht von Georg Trakl. Es erschien erstmals im „Brenner“ vom 15. März 1913, noch unter dem Titel „Melancholie“. Im Spätherbst 1912 hat Trakl eine Druckvorlage für seine erste Gedichtsammlung zusammengestellt. Darin trägt das Gedicht jedoch bereits den Titel „In ein altes Stammbuch“:

Foto: Kopie der Eintragung Trakls  

Immer wieder kehrst du Melancholie,
O Sanftmut der einsamen Seele.
Zu Ende geht ein goldener Tag.

Demutsvoll beugt sich dem Schmerz der Geduldige
Tönend von Wohllaut und weichem Wahnsinn.
Siehe! Es dämmert schon.

Wieder kehrt die Nacht und klagt ein Sterbliches
Und es leidet ein anderes mit.

Schaudernd unter herbstlichen Sternen
Neigt sich jährlich tiefer das Haupt.

Beim titelgebenden „alten Stammbuch“ handelt es sich um kein anderes als um das Innsbrucker Stammbuch von Arthur von Wallpach! Die Eintragung muss also im Herbst 1912 erfolgt sein. Im Rahmen meiner Arbeit für die Dissertation bin ich auf einen Aufsatz von Hans Szklenar  im „Schlern“ gestoßen. Darin schreibt er über das Gedicht  „In ein altes Stammbuch“, das Georg Trakl Arthur von Wallpach gewidmet hatte. Hans Szklenar bedauert im Aufsatz, dass das Stammbuch als verloren bzw. als verschollen gelten musste: Bei seiner Arbeit für eine historisch-kritische Trakl Ausgabe hatte Szklenar 1962 auch in Klausen nachgeforscht. Leider musste er von Herrn Wallo v. Wallpach, dem Sohn des Dichters, damals erfahren, dass dieser trotz Durchsicht der Bücher in der Bibliothek „in keinem etwas von Trakl“ finden konnte (In: Schlern 52/1978, Heft 11).

Nachdem mich die Familie von Wallpach bei der Suche nach Materialien für meine Dissertation sehr entgegenkommend unterstützt hatte, haben mich wohl Zufall, Glück und eifriges Suchen im Frühjahr 1981 zur Finderin des vermeintlich verschollenen Stammbuchs gemacht!  Die Familie hat das Stammbuch später großzügiger Weise dem Forschungsinstitut „Brenner-Archiv“ in Innsbruck zur Verfügung gestellt.

Ludwig von Ficker hatte bereits vor dem 1. WK Kontakte zu Hermann Broch, O. Kokoschka, Karl Kraus, R.M. Rilke, Else Lasker-Schüler u.a. gepflegt. Nach dem 1.WK (er hatte an der Dolomitenfront gekämpft) legte Ficker den Schwerpunkt des „Brenner“ (erschien bis 1954) auf philosophisch-religiöse Fragen und sprachphilosophische Essays und umgab sich mit einem neuen Mitarbeiterkreis (z.B. Theodor Haecker – Übersetzer der Werke Kirkegaards -, Ferdinand Ebner, Josef Leitgeb, Gertrud von Le Fort und Ignaz Zangerle). A.v.W. gehörte nicht mehr dazu.

Klausner Schloss-Verbindungen

Für Arthur von Wallpach hat sich über die Innsbrucker „Brenner-Stammtisch-Runde“ auch die freundschaftliche Beziehung zu Karl Traut (1874 – 1934), den er seit 1890 kannte, im Laufe der Jahre 1910 bis 1913 gefestigt . Beide scheint, wie Georg Kierdorf-Traut in einem Schlern-Aufsatz  (In: Schlern 55/1981, H. 9, S. 468 – 473) schreibt, ihre Geistesverwandtschaft und ihr gemeinsames Interesse an der Literatur und an der Natur verbunden zu haben. Nachdem Karl Traut dann in Klausen die Ruine Branzoll erworben hatte  und sie in den Jahren 1912 bis 1913 neu erbauen ließ, wurde auch dieser Ort ab 1913 zu einem  Treffpunkt von Schriftstellern und bildenden Künstlern. Karl Traut entstammte einer Bozner Kaufmannsfamilie. Er war in erster Linie Sammler und Förderer junger Künstler aus Tirol.  Der Maler Artur Nikodem war gern gesehener Gast bei Karl Traut, der seit seiner Jugend Gedichte verfasste. Wohl deshalb gibt es auch einen Brief Georg Trakls an Karl Traut, den er im April 1914 von Riva am Gardasee an den Dichter nach Klausen geschrieben hat. 

Anlässlich der Einweihung  der Burg Branzoll schrieb A.v. Wallpach im Oktober 1913 Karl Traut ein langes Gedicht mit dem Titel „Branzoll“ ins Hausbuch.

Die Strophe, die sich unmittelbar auf den neuen Besitzer Karl Traut bezieht: „Nun leuchtet ins Land das neue Haus,/Ein junger Held mit fröhlichem Wagen -/Aus hellen Stuben lacht das Behagen/Ins farbenflammende Tal hinaus./O herrlich, bei funkelndem jungen Wein/Die Berge zu grüßen wie Gespielen,/Entronnen dem taumelnden Markte der Vielen/Ein Gründer neuen Lebens zu sein.“

Als sich Karl Traut 1931 dann auf den Ansitz Sunegg  in Brixen-Kranebitt zurückzog, trug A.v. Wallpach wieder ein Gedicht ins Gästebuch ein.  

Die zwei Dichter verband auch die Mitarbeit an der Zeitschrift „Der Schlern“. Als die „illustrierte Monatsschrift für Heimat- und Volkskunde“ im Herbst 1927, im 8. Jg. Ihres Bestehens, die erste „literarische Beilage“ herausbrachte, war  A.v.Wallpach gleich als Mitarbeiter vertreten. In den folgenden Monaten zählten auch Hubert Mumelter, Karl Traut, Paul Rossi, Joseph Georg Oberkofler u.a. zu den wichtigsten Mitarbeitern. Die Mitarbeit Arthur von Wallpachs beim „Schlern“ dauerte von 1927 bis 1938, das Jahr der Einstellung. Über die gemeinsamen Veröffentlichungen im „Schlern“ gab es auch eine freundschaftliche Verbindung A.v.Wallpachs zum Klausner Tischler und Bildhauer Karl Nußbaumer. In einem Brief bedankte sich Nußbaumer bei Wallpach für dessen wohlwollende Kritik seiner lyrischen Produkte.

Im Rahmen der Veröffentlichungen im „Schlern“ gibt es ein kleines Kuriosum: Unter dem Pseudonym „Eremita“wurden  zwischen 1930 und 1937 elf Marienlieder Arthur von Wallpachs abgedruckt. Ganz in der Tradition religiöser Lyrik wendet sich der Dichter darin an die Gottesmutter. Franz Junger, der Herausgeber des „Schlern“, schrieb in einem Brief vom 11.11.1930 an Wallpach: „Über ‚Eremita‘ hat man mich schon mehrmals befragt, und obwohl ich nichts verriet, vermutet man unter diesem Namen Sie.“ Eremita bedeutet Einsiedler, und  Arthur  v. Wallpach gibt in einem unveröffentlichten Gedicht Aufschluss zu diesem Begriff: „Wie scheu vor seinem Gott der Priester kniet/Und sich zu Boden wirft vor der Monstranze,/So knie, Madonna, ich als Eremit/Vor Dir in Deiner Anmut Glorienkranze.“ Die verschiedenen Namensgebungen für Maria in den „Eremita“-Gedichten („aller Frauen Blüte“, „sternenewige Braut“) lassen  an die mittelalterliche Marienlyrik denken. 

Die meisten Beiträge in der „literarischen Beilage“ des „Schlern“ waren auf Verinnerlichung und Flucht in die Welt der Kunst ausgerichtet. Die Gedichte waren in ein Haus- und Familienidyll eingebettet. Trotzdem wurde das Blatt 1938 wegen der politischen Verhältnisse eingestellt.

Im selben Jahr musste Arthur von Wallpach sein Geschäft  in Innsbruck auflösen. Er übersiedelte nun endgültig nach Klausen. In den folgenden Jahren führt er dort ein eher zurückgezogenes Leben. Er unterhält Kontakte zu Freunden des „Schlern“- Kreises und zu Mitgliedern des Südtiroler Künstlerbundes. Persönlichkeiten wie Erich Kofler, Karl Nußbaumer, Rudolf Stolz, Heiner Gschwendt und Hugo Atzwanger finden sich als Gäste auf Schloss Anger, wie aus Eintragungen im Hausbuch hervorgeht.

Im Frühsommer 1946 musste sich Arthur von Wallpach in Brixen einer Operation unterziehen. Am 30. Juni starb er, 80-jährig, in Klausen.

4.2. Gedichtbände und stilistische Einordnung

Die Gedichtbände „Im Sommersturm“, „Sonnenlieder im Jahresringe. Heidnische Gesänge aus Tirol“, „Kreienfeuer und Herdflammen“, „Sturmglock‘. Politische und sociale Gedichte“, „Es will tagen. Ketzersprüche“ sind der ersten Schaffensperiode Arthur von Wallpachs zuzuordnen. Der Entstehungszeitraum sind die Jahre zwischen 1893 und 1902/03. Bereits die Titel der Gedichtbände verraten die kämpferische und dem germanischen Mythos verbundene Geisteshaltung A.v. Wallpachs.   

In den Jahren zwischen 1905 und 1916 erscheinen mit dem „Bergbrevier“ (1905), „Tiroler Blut“ (1908), „Heiliges Land“ (1914) und „Wir brechen durch den Tod“ (1916) Gedichtbände, die zu Wallpachs reifer Lyrik gezählt werden können. Ein Hintergrund ist die Mitarbeit bei Kulturzeitschriften („Föhn“ und „Brenner“), ein anderer die Hinwendung zur Natur und zu schlichter Erdverbundenheit. Ein Rezensent schreibt: „In diesen Büchern wird Wallpach ruhiger, die frühere Kampfstellung tritt etwas zurück, wenngleich die Ideenwelt eigentlich die gleiche bleibt.“ (Rezension in Tiroler Tageszeitung Nr. 176, 1946).

Nicht zuletzt wegen des Bezugs zu Klausen möchte ich aus dieser Phase ein Gedicht vorlesen, das A.v.W. anlässlich der Geburt seines einzigen Sohnes Wallo am 17.9.1911 (ein Tag nach der Geburt) geschrieben hat. Der Sohn ist nach 11jähriger Ehe bei Eisenburg in Ungarn geboren, die Taufe fand am 25. 9.1912 auf Schloss Anger statt. „Du siehst mich an, mit Augen, rätseltiefen;/Wo kommst du her und wohin wirst du wandern?/Wer gab die Seele dir von all den andern,/Die vor dir waren und die in mir schliefen;// 

Ich rang zur Sonne, d u wirst deine Siege/Nüchtern vielleicht an Nützlichkeit verkaufen,/Ich bin ein Heide und ich muß dich taufen -/So steht der Zwiespalt schon an deiner Wiege.// 

Vor dir hebt sich ein morgenlichtes Tagen,/Indessen niederglosen meine Flammen -/Wir gehen wohl ein Stückchen Wegs zusammen -/Magst du einst gern: ‚Er war mein Vater‘ sagen.“ (Heiliges Land, S. 125)

Zur Alterslyrik Arthur von Wallpachs zählen die bereits erwähnten, im „Schlern“ veröffentlichten Gedichte und die Gedichtbände „Ob mir leuchten die Sterne“ (1931). Die Gedichtsammlung „Gelebtes Leben“ (50 Gedichte zwischen 1930 und 1942) blieb unveröffentlicht, außerdem ist ein unveröffentlichter Nachlass erhalten.

Exemplarisch für diese späte Phase greife ich  das Mariengedicht „Maria, o gnadenvolle Frau“, das 1931, Heft 1, im „Schlern“ erschienen ist, heraus: „Vor allen Weibesblüten/Entsprossen irdischer Au/Ward Dir ein rein Behüten,/Ein himmelzarter Tau.// Laß Gnadenströme fließen/Auf meiner Seele Land,/Die Himmel zu erschließen/Gab Gott in Deine Hand.“

In der Alterslyrik verzichtet Arthur v. Wallpach im Gegensatz zu den früheren Phasen weitgehend auf Vorbilder. Er schöpft aus dem unmittelbaren persönlichen Erlebnisbereich (Natur, Gebirgswelt, Liebe, Häuslichkeit, Religion), und seine Gedichte werden von einem abgeklärten, ruhigen Ton getragen. Doch auch im letzten Gedichtband „Ob mir..“ finden sich Begriffe wie „Welten-Ostern“, S. 109, „Menschheitsmorgen, S. 115 „neuer Weltzeit Dämm’rung“, S.116, welche die seit der Jugend vertretene Geisteshaltung wiederspiegeln. Dasselbe trifft auf die unveröffentlichten Gedichte zu.

Abschließende stilistische Bemerkungen: Die Lyrik Arthur von Wallpachs steht in der Nachfolge zur Romantik (3- bis 4strophige Gedichte, dem Spruch- und Volksliedhafen verbunden). Er behält stets den Reim bei, er bleibt, im Gegensatz zum Expressionismus, an die traditionelle Form gebunden. Im Bereich der Wortbildung sind Neubildungen ( Seidenschleierfalten, Sst. 93, Ideenbrandrakete, Sst. 136, Märchenkönigsknab, Ob 25, Abendwolkenwiderschein, Ob 96)  keine Seltenheit. Auch Alliterationen (Stabreim) haben eine große lautmalerische Wirkung (Holperwege bin ich heimgehastet, T.B. 26, Auf schwanken Schwalbenschwingen, Kr. 14, In des Lebens liebes Land, H.L. 46).

5. Kritische Überlegungen und Parallelen zur Gegenwart: Gewalt beginnt mit Ausgrenzung

Ich erinnere mich noch gut daran, wie Slobodan Milosevic in Reden und Appellen Bezug auf die „Schlacht auf dem Amselfeld“ genommen und damit den Anspruch auf das Wiedererstarken eines serbischen Reiches erhoben hat. Der Jugoslawienkrieg in den 1990-er Jahren war auch eine Folge nationalistischer Träume und Forderungen, die sich auf eine scheinbar glorreiche Vergangenheit berufen haben. In der jüngeren Vergangenheit schlugen Politiker:innen in Frankreich und Ungarn Töne an, die die Vision einer Volksgemeinschaft ohne „fremdblütige Einflüsse“  fordern. Populistische Parolen kennen wir auch aus Italien, Polen, Schweden, und ich möchte auch die österreichische FPÖ bei dieser Nennung nicht aussparen. Die Rechtfertigung für den jüngst erfolgten Angriffskrieg auf die Ukraine schöpft Wladimir Putin aus einem Geschichtsverständnis, das die Wiederherstellung eines Russischen Reiches in alten Grenzen zum Ziel hat. 

Wir erinnern uns im Zusammenhang mit nationalistischen Forderungen und ausgrenzende Haltungen auch  an Gedichte von Arthur von Wallpach, in denen er, lange vor dem Nationalsozialismus, zum Kampf für ein großes deutsches Reich aufgerufen und gegen nationale und religiöse Minderheiten gehetzt hatte. 

Zeiten großer Umbrüche, wie es die Zeit um 1900 war oder wie es die aktuelle Gegenwart ist, verunsichern. Damals hat viele Menschen vorerst beruhigt, das angstmachende Neue, Fremde (Slawen, Juden), das Ungelöste, auszuschließen. Dieser Mechanismus scheint auch heute teilweise zu funktionieren, wenn auf dem Rücken von Zuwanderer:innen politisches Kleingeld gemacht wird, wie es populistische Strömungen handhaben. Oder  wenn, wie im Falle Russlands, durch territoriale Expansion und nationalistischen Wahnsinn Probleme im eigenen Land negiert und übergangen werden. 

Im Hinblick auf die staatsbürgerliche Verantwortung in unseren Tagen möchte ich die Historikerin Mirjam Zadoff, die das NS-Dokumentationszentrum in München leitet, zitieren: „Der Blick in die Vergangenheit zeigt, wo und wann die Spaltung einer Gesellschaft gefährlich wird: Ein Genozid beginnt nicht mit der Ermordung von Menschen, sondern mit ihrer Ausgrenzung. Gesellschaftlicher Diskurs, der hetzt und polarisiert, wird irgendwann in Gewalt umschlagen.“(Interview anlässlich des 80. Todestages von Edith Stein in der österreichischen Wochenzeitschrift „Die Furche“, 09.09.2022).

Schließend möchte ich meinen Vortrag mit dem letzten Gedicht Arthur von Wallpachs. Der Dichter hat es  am 1.Juni 1946, genau einen Monat vor seinem Tod am 30. Juni, geschrieben:

Bild:  letzte Aufnahme des Dichters, einscannen

Wir sind schon alt, das ist ein müdes Wesen

Der Abend sinkt und näher rückt das Ziel –

Du altes Heimathaus, sei auserlesen,

Schenk uns ein weltvergessenes Asyl.

 

Wunschlos und sorglos schaun dem Tanz der Mücken

Im Sonnenstrahl, dem Vogelflug wir zu.

Den neuen Tag wie eine Blume pflücken

Beschaulich wir, in anspruchsloser Ruh‘.

 

O süßer Traum, verlockendes Bestechen,

Das uns den Schlummertrank der Ruhe bot,

Mag uns ein letztes lindes Glück versprechen,

Ein stilles Leben,  einen sanften Tod.

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Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

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